„Die Kinder hier haben eine Chance verdient“
Unterricht in der Klasse 3b der Grundschule Krefelder Straße in Duisburg: Das Lösen von Matheaufgaben steht auf dem Programm. © Maximilian Mann
Beim Matheunterricht in einer Duisburger Grundschule zeigt sich, wie Lernbegleiter*innen von students@school den Schulalltag positiv beeinflussen können. Davon profitieren die Kinder, aber auch die Studierenden.
Großes Gewusel. Die Klasse 3b ist in Bewegung. Stillsitzen ist nicht. Lehrerin Jessica Becker mahnt zur Ruhe. „Hey, du auch! Hinsetzen“, ruft die 40-Jährige und deutet mit dem Finger auf einen dunkelhaarigen Jungen. Dann wird es ruhiger, die Kinder nehmen ihre Plätze ein. 25 Augenpaare schauen in Richtung Tafel. „Na, wer weiß denn noch, wo wir letzte Stunde aufgehört haben?“
Jetzt beginnt der Matheunterricht in der Grundschule Krefelder Straße, einem mehr als 100 Jahre alten, denkmalgeschützten Backsteinbau in Duisburg-Rheinhausen – der raue Charme des alten Ruhrgebiets, optisch etwas aus der Zeit gefallen.
Die 3b lernt in einem Klassenraum in der ersten Etage. Bunte Wände, Bücherschrank, Bastelmaterial. Warmer Parkettboden und kühles Neonlicht, Trinkflaschen und Federmäppchen auf den Tischen. „Kinder, Frau Kraft ist heute wieder bei uns“, sagt Lehrerin Jessica Becker. „Wenn ihr Fragen habt, hilft sie euch gerne weiter.“
Frau Kraft heißt mit Vornamen Kristin, sie ist 26 Jahre alt und hat bald ihren Bachelorabschluss in der Tasche. Seit Januar 2022 macht sie mit bei students@school. 14 Stunden pro Woche ist sie in der Grundschule im Einsatz – nicht als Lehrerin, sondern als zusätzliche Unterstützung der Lehrkräfte im Schulalltag. „Ich kann mich gezielt mit einzelnen Schüler*innen beschäftigen und auf ihre Bedürfnisse eingehen. Dabei lerne ich eine Menge, wovon ich mit Sicherheit später im Beruf profitieren werde.“
Hayat (8) reckt ihren ausgestreckten Zeigefinger in die Höhe. Vor ihr liegt ein Arbeitsblatt, „Multiplikation & Division“. Jede Menge Aufgaben, jede Menge Kästchen, die mit Antworten gefüllt werden müssen. Kristin Kraft beugt sich zu Hayat herunter, stützt sich auf ihre Ellbogen und sieht das Mädchen an. „Brauchst du Hilfe?“, fragt sie. „Komm, wir gucken uns das mal zusammen an…“
Etwa 300 Kinder besuchen die Grundschule an der Krefelder Straße. Auf dem Schulhof wird derzeit gebaut, mit Containern soll mehr Platz geschaffen werden. Die Menschen in der Stadt sprechen von einer „Brennpunktschule“. Wenn Lehrerin Jessica Becker diese Formulierung hört, platzt ihr der Kragen: „Natürlich haben wir hier einen besonderen Förderungsbedarf, etwa wegen fehlender Deutschkenntnisse“, sagt sie, „aber ich bin es leid, immer wieder zu hören, wie schlimm es ist. Die Kinder hier sind tolle Kinder. Sie sind wissbegierig, und sie verdienen eine Chance. Kulturelle Vielfalt sollte als Bereicherung begriffen werden, nicht als Manko.“
Sedat und Ayaz sind Sitznachbarn. Die Jungs haben ein Papier mit Mathe-Aufgaben vor sich, „Addition bis 1000: Teste Dich!“. Kristin Kraft hat bei der Vorbereitung auf ihren Einsatz als Lernbegleiterin auch ihre eigenen Mathe-Kenntnisse aufgefrischt. In der schulform- und fachbezogenen Qualifizierung im Rahmen von students@school hat sie didaktische Tools an die Hand bekommen, die ihr helfen, die Basiskompetenzen der Schüler*innen zu fördern. Gerade hat sie den beiden Neunjährigen ein paar Rechentricks gezeigt. „Wow, das ist ja gar nicht so kompliziert“, staunt Sedat. „Ich mach bald einen Youtube-Kanal, auf dem ich was über Mathe erzähle“. Gucken sich die Leute sowas denn an? „Klar“, sagt sein Kumpel Ayaz: „Das hilft ja bei den Hausaufgaben“. Dann grinst er und tippt sich mit dem Finger an die Stirn: „Gehirn aus Stahl“, sagt er. Alle lachen. Unterricht darf auch Spaß machen.
Kristin Kraft studiert mit dem Ziel, an einem Gymnasium oder an einer Gesamtschule die Fächer Deutsch und Geschichte zu unterrichten. Eigentlich. Denn seit sie bei students@school mitmacht, denkt sie immer häufiger daran, auf Grundschullehramt umzuschwenken. „Ich bekomme hier viel positives Feedback – besonders von den Kindern. Das motiviert sehr“, sagt die 26-Jährige. Plötzlich steht ein Mädchen neben ihr, Nasya (9), und sagt: „Dass Frau Kraft da ist, macht den Unterricht noch besser.“
Die Stunde endet. Die Mathebücher verschwinden in den Rucksäcken. Doch bevor es in die Pause geht, lassen die Schüler*innen den Unterricht noch einmal Revue passieren. Drei Schilder werden herumgereicht. Darauf stehen die Sätze „Das habe ich heute geschafft“, „Daran habe ich gearbeitet“ und „Heute gab es ein Problem“. Wer ein Schild in Händen hält, kann den Mitschüler*innen von den eigenen Erfahrungen berichten.
Aleyah (10) erzählt, wie gut heute das Addieren von dreistelligen Zahlen geklappt hat – auch, das betont sie, dank der Unterstützung von Frau Kraft. Dann erklingt die Pausenglocke. Sofort wieder: großes Gewusel, die 3b ist in Bewegung.
Aus Gründen des Datenschutzes wurden die Namen der Schüler*innen von der Redaktion geändert.